Filmtipp ARD: Wellness für Paare – Paartherapie mal ganz anders!!!!

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Wellness-Wochenende im Schlosshotel, Paartherapie inklusive

In „Wellness für Paare“ dürfen zehn Darsteller vor 20 Kameras improvisieren – eine wohltuende Abweichung von der deutschen Vollkasko-Filmnorm.

TV-Kritik von David Denk

Als Jan Georg Schütte ein bisschen jünger war und deutlich schüchterner, hatte er eine Idee: Er lud seine Klassenkameraden zu Gesellschaftsspielen nach Hause ein: kein Mensch ärgere dich nicht, keine Brettspiele, sondern Spiele im Gelände, bei denen man in zwei Mannschaften gemeinsam ein Ziel erreichen muss, sogenannte New Games. Sein egoistisches Ziel war noch ein anderes: „Ich wusste als 17-,18-Jähriger nicht, wie ich sonst in die Nähe eines weiblichen Wesens kommen sollte“, sagt er.

Schüttes Arbeiten sind wohltuende Abweichungen von der deutschen Vollkasko-Norm

Den Nahkampf hat er glücklicherweise dann doch noch gelernt: Der 53-Jährige ist verheiratet und Vater eines Sohnes. Und er hat aus seinem Spieltrieb – oder besser: der Faszination für psychosoziale Dynamiken und Mechanismen – Kapital geschlagen, indem er ihn zum Beruf gemacht hat. Schütte ist Schauspieler, arbeitet aber mittlerweile auch als Regisseur und Autor – wobei diese Begriffe in die Irre führen: Bücher im herkömmlichen Sinne schreibt er nicht und am Set gibt er kaum Anweisungen. Er steckt den Rahmen ab, hält sich ansonsten aber im Hintergrund und lässt die Schauspieler machen. Mit anderen Worten: Jan Georg Schütte ist zu dem Spielleiter geworden, der er schon als Jugendlicher mal war.

Allein die umwerfende Besetzung seiner neuesten Versuchsanordnung Wellness für Paare spricht dafür, dass Schütte seinen Kollegen Entfaltungsmöglichkeiten bietet, die im deutschen Fernsehen rar gesät sind: Fünf Paare, verkörpert von den Schauspielern Anke Engelke und Sebastian Blomberg, Anneke Kim Sarnau und Bjarne Mädel, Gabriela Maria Schmeide und Michael Wittenborn, Katharina Marie Schubert und Martin Brambach sowie Magdalena Boczarska und Devid Striesow, haben bei Schütte ein Wellness-Wochenende im Schlosshotel gebucht, Paartherapie (zur Überraschung einiger) inklusive. Dass sie bei ihm gebucht haben, stimmt auch insofern, als der Spielleiter den Hoteldirektor mimt. Das lässt er sich nicht nehmen – einmal Schauspieler, immer Schauspieler. Sein Mitwirken hat aber auch ganz pragmatische Gründe: „Ich kann durchs Bild laufen, ohne dass man mich ständig rausschneiden muss.“ Und er könne so zumindest „ein ganz kleines bisschen Einfluss“ auf den Handlungsverlauf nehmen.

Schüttes Filme und Hörspiele sind komplett improvisiert. Als er vor zehn Jahren zum ersten Mal ein paar Kollegen zusammentrommelte, um vor laufenden Kameras ein Szenario zu entwickeln, wollte er daraus eigentlich nur Inspiration für ein Drehbuch ziehen; als er das Filmmaterial dann sortierte, merkte er, dass er den Film schon gedreht hatte. So entstand Swinger Club. In ihrer Unberechenbarkeit sind Schüttes Arbeiten wohltuende Abweichungen von der deutschen Vollkasko-Norm: „Hauptmerkmal meiner Arbeit ist, dass ich die Kontrolle abgebe, wo Kollegen die größtmögliche Kontrolle anstreben.“

Bei Wellness für Paare bekam jeder Schauspieler vorab nur eine halbe Seite Informationen zum Setting, „eine grobe Spielaufstellung“, wie Schütte das nennt; die Figuren wurden dann gemeinsam entwickelt – zuerst mit dem Spielpartner und dann in Einzelgesprächen. Seine Regel, dass die Schauspieler nur so viel wissen wie ihre Figuren, hat Schütte bei Wellness für Paare gelockert. So verriet er allen, dass es Therapiesitzungen geben würde, geleitet von drei echten Therapeuten. Und bei einem der Paare hätten beide von einem Seitensprung vor 25 Jahren gewusst, um den „betrogenen“ Part nicht völlig zu überfallen.

Während ihre Figuren existenzielle Krisen durchleben, gibt es für Schauspieler in der Arbeit mit Schütte, ähnlich wie schon bei den New Games, nur Gewinner und keine Verlierer. „Die Therapie-Situation ist absolut wasserdicht, da kann einem halbwegs begabten Schauspieler eigentlich nichts passieren“, sagt er. „Wenn man nichts sagt, ist es gut; wenn man zu viel quasselt, ist es auch gut. Dann kann der andere sagen: ‚Jetzt halt mal die Klappe.'“

„Ab der 25. Schnittfassung ist schon viel Fluchen dabei“

Ein Wagnis ist Schüttes Arbeitsweise – man könnte auch von Methode sprechen – vor allem für ihn selbst. Aber das war ja auch der Sinn der Sache: sich aus der Routine des Bühnenschauspielerdaseins zu befreien und wieder herausgefordert zu werden. „Manchmal überrollt mich eine panische Angst, dass ich Dynamiken nicht richtig eingeschätzt habe oder technisch etwas schiefgeht“, sagt Schütte. Bei Wellness für Paare haben 20 Kameras 111 Stunden Material geliefert, „daraus kann man, sagen wir mal, 50 geile Filme bauen“. Nur was ist geil? Eine sehr zeitraubende Frage. Schütte hat zwar nur zwei Tage gedreht, danach aber fast ein Dreivierteljahr im Schneideraum zugebracht. „Die ersten vier Wochen das Material zu sichten, ist wie Geschenke auspacken, total beglückend“, sagt er, der ja vieles beim Dreh gar nicht mitbekommen hat. Dann kommen die erste Schnittfassung und Verbesserungswünsche von Produzent und Redaktion, die oft ganz andere Lieblingsszenen haben, „ab der 25. Fassung ist schon viel Fluchen dabei“. Fertig war Wellness für Paare nach 30 Fassungen, beim Vorgänger Altersglühen – Speed Dating für Senioren waren es sogar 70.